Vernissage-Ansprache
in der Galerie Thalberg
vom 11. März 2017

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzter Pierre

Es ist mir ein Vergnügen, anlässlich der heutigen Vernissage zur Ausstellung „Der postkonkrete Weg“ von Pierre Schwarzenbach ein paar Worte an Sie richten zu dürfen.

Wenn einer das halbe Leben in der Welt herumgereist,  Textilgestaltung und Betriebswirtschaftslehre studiert und als erfolgreicher Art Director in renommierten Häusern wie Abraham und Hermes gearbeitet hat und eines Tages – im Alter von 48 Jahren - beschliesst, die Karriereleiter in die Ecke zu stellen und sich fortan ganz der bildenden Kunst zu widmen, ist das nicht nur erstaunlich, sondern auch mutig. Pierre Schwarzenbach hat genau das getan und damit 1998 im übertragenen Sinn sozusagen seinen konkreten Lebensweg verlassen und ein neues, postkonkretes Dasein als Künstler in Angriff genommen.

Doch der Ausstellungstitel „Der postkonkrete Weg“ spielt nicht auf Biografisches an. Er bezieht sich auf die Kunst von  Pierre Schwarzenbach und legt deshalb eine Analogie zum Begriff der „Postmoderne“ nahe. Im Gegensatz zur Pierre Schwarzenbachs neuer Wortschöpfung  „postkonkret“ hat sich „postmodern“ als Definition eines neuen Kultur- und Kunstbegriffs jedoch spätestens seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts als stehender Begriff etabliert. Die „Postmoderne“ – das ist die Charakterisierung der Wandlungen in der Moderne, die in den Nachkriegsjahren als Zeichen der Überwindung vergangener Werte und Stile in einer Vielfalt von neuen Formensprachen Ausdruck gefunden haben.

Überwindung und Wandlung – das sind Stichworte, die sich auch auf den „postkonkreten Weg“ des Künstlers Pierre Schwarzenbach übertragen lassen. Er bekennt sich zum Erbe, das ihm die Zürcher Konkreten, Richard Paul Lohse, Camille Graeser, Verena Loewensberg und  Max Bill, hinterlassen haben, überführt und verwandelt dieses aber in etwas Neues, etwas Eigenes. Die Basis von Pierre Schwarzenbachs Arbeiten bilden zwar nach wie vor die konkreten Bildmittel Farbe, Form und Fläche. Figurative Elemente gibt es in seinen Werken nicht – oder nicht mehr, seit er sich vor ein paar Jahren vom Narrativen abgewendet und ganz der gegenstandslosen Formensprache zugewendet hat. Geometrische Formen, darunter immer wieder das Quadrat und der Kreis, bestimmen seine Bilder. Das ist bei den Zürcher Konkreten nicht anders. Ein oberflächlicher Blick auf die Arbeiten von Pierre Schwarzenbach könnte denn auch dazu verleiten, ihn der Einfachheit halber kompromisslos der Kategorie der Konkreten Kunst zuzuordnen. Doch gegen diesen Ansatz spricht einiges:

Schon die Herangehensweise von Piere Schwarzenbach ist eine ganz andere als die der Zürcher Konkreten oder der in ihrer Nachfolge stehenden konkreten Kunstschaffenden. Während diese ihre Bildfindungen mit mathematischen Berechnungen und kopfgesteuerter Systematik entwickeln, sind es bei Pierre Schwarzenbach innere Bilder oder vage Ahnungen von Harmonien, die am Anfang eines jeden neuen Werkes stehen. Oft pflegt er stundenlang meditierend vor der leeren Leinwand zu sitzen, bis seine Vorstellungen reifen und so gefestigt sind, dass sie schlussendlich Gestalt annehmen können.

Ein weiterer Aspekt, in dem sich die Werke von Pierre Schwarzenbach von konkreter Kunst in Reinform unterscheiden, besteht in der Erweiterung der Farbpalette und der Material-Vielfalt. Metallisch glänzende Flächen in Gold, Silber oder Kupfer gehören ebenso zu den charakteristischen Merkmalen von Schwarzenbachs Werk wie die Verwendung von Sand, Wachs, Graphit oder Lack als integrale Bestandteile. Auch wenn – oder gerade weil - seine Arbeiten farblich häufig sehr reduziert, oft sogar monochrom sind, wohnt ihnen aufgrund des Lichtspiels auf der durch Glanz oder Struktur belebten Oberfläche etwas geheimnisvoll Oszillierendes inne, das nicht auf einen Blick erfasst werden kann, sondern je nach Lichteinfall oder Standpunkt der Betrachtenden einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen ist.

Entsprechend brauchen Schwarzenbachs Bilder Zeit - bei der Entstehung ebenso wie bei der Betrachtung. Erst wenn man bereit ist,  sich ganz auf sie einzulassen, buchstäblich in sie einzutauchen, offenbaren sie ihre geradezu meditative Wirkung. Sie laden zur kontemplativen „Entschleunigung“ ein und sollen – so der Künstler – einen ruhigen Gegenpol bilden zu den lauten, schrillen und hektischen Strömungen unserer Zeit.

Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Bilder von Pierre Schwarzenbach von jenen der Konkreten. Die Rezeption ist eine andere. Während bei jenen rationale Kriterien im Vordergrund stehen und in erster Linie nach intellektueller Analyse verlangen, sind es bei Pierre Schwarzenbach auch Intuition, Empfindsamkeit und Sinnlichkeit, die den Zugang zu seinen Bildern ermöglichen. Konkrete Bilder wollen analysiert werden, die postkonkreten Werke von Pierre Schwarzenbach wollen erfahren und empfunden werden. Es sind geistige Räume oder sichtbar gemachte Energien, die sich auf die Betrachtenden übertragen. So gesehen könnte man auch den Link zur Farbfeldmalerei eines Mark Rothko machen. Im Gegensatz zu diesem arbeitet Schwarzenbach jedoch meist mit geometrischen Formen, also den Gestaltungsmitteln der Konkreten Kunst. Doch die Intention, die Pierre Schwarzenbach damit verfolgt, steht derjenigen von Rothko näher als jener der Konkreten Kunst. Postkonkrete Kunst von Pierre Schwarzenbach könnte demnach heissen: Die Mittel der Konkreten Kunst zu einer sinnlichen Meditationsfläche erweitern. Oder anders ausgedrückt: Die konkrete Formensprache mit der meditativen Absicht der Farbfeldmalerei verbinden.  Dabei weicht Pierre Schwarzenbach die systematische Strenge der Konkreten auf, indem er sie mit Emotionen verknüpft.

Nicht: Rationalität oder Emotionalität ist hier die Frage.

Sondern: Rationalität und Emotionalität halten sich die Waage...

Lassen Sie mich, geschätzte Anwesende, nochmals auf den Anfang meiner Rede zurück kommen und den postkonkreten Weg von Pierre Schwarzenbach in Anlehnung zur eingangs erwähnten Postmoderne wie folgt definieren: Der postkonkrete Weg von Pierre Schwarzenbach besteht darin, dass er zwar die Formensprache der Konkreten übernimmt, diese aber hinterfragt und in eine neue Dimension überführt, indem er sie „entrationalisiert“ und emotional, im gewissen Sinne sogar spirituell auflädt. Damit ist ein freierer, spielerischer Umgang mit  den Bausteinen aus einer früheren Epoche verbunden. So wie die Postmoderne die Charakterisierung der Wandlungen und Überwindung in der Moderne darstellt, gründet der postkonkrete Weg von Pierre Schwarzenbach im Bestreben, die  Konkrete Kunst zu überwinden und zu wandeln, ohne sie als wichtige Inspirationsquelle jedoch zu verleugnen.

Lieber Pierre, ich wünsche Dir auf diesem -  Deinem -  postkonkreten Weg  viel Erfolg und danke Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, für die geschätzte Aufmerksamkeit.

Yvonne Türler-Kürsteiner
www.kunst-kontakt.ch