Der Postkonkrete Weg

Mit der konkreten Kunst hat Pierre Schwarzenbach nur etwas gemeinsam: die reine Gegenstandslosigkeit. Und die Beschränkung auf konkrete Bildmittel wie Fläche, Linien, Rechtecke oder Kreise. Was ihn indessen von den Zürcher Konkreten trennt, sind seine materialisierten Emotionen. Die Verdichtung des Gefühls ist ihm wichtiger als Berechnung, Perfektion oder Reglementierung. Deshalb sind seine Kompositionen frei von jeder Dogmatik. Wären seine Bilder Musik, würde man zuweilen auch feine, bewusst erzeugte harmonische Dissonanzen verzeichnen. Seine kompositorische Disziplin lässt ihm keine Ruhe, bis das Zusammenspiel von Gewicht und Gegengewicht das Diktat von oben und unten auflöst. Der Künstler entzieht sich mit seiner Malerei jeder kunstwissenschaftlichen Klassifizierung. Anlehnungen sind allenfalls im abstrakten Expressionismus mit seiner mitunter flächigen Räumlichkeit zu finden. Sein Gattungsbegriff «Postkonkret» ist aber insofern treffend, als dieser den Weg vom Bekannten zum Unbekannten markiert und dabei alles offen lässt. Schwarzenbachs Werk ist ein Gegenpol zur informellen Malerei aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. So wie die Zürcher Konkreten, namentlich Richard Paul Lohse, ein sozialpolitisches Postulat vertraten, hat auch Pierre Schwarzenbach ein gesellschaftliches Anliegen: «Ich möchte den zunehmend schrilleren, lauteren und brutaleren Impulsen des digitalen Zeitalters Ruhe und Bedächtigkeit entgegensetzen. Mit jedem Bild lade ich den Betrachtenden zur stillen Kontemplation ein», erklärt der Künstler. «So gesehen ist meine postkonkrete Malerei eine meditative Malerei, ein poetischer Konstruktivismus.»

Pierre Schwarzenbach hat die Sensibilität gegenüber der Materialität, der Stofflichkeit durch sein dynastisches Familienerbe im Bereich der Seidenindustrie schon in der Kindheit erworben und später an der Fachhochschule Niederrhein, Textil-Gestaltung, in Krefeld weiterentwickelt. Seine Empfindsamkeit für Materialien und Oberflächen hat er von der angewandten Kunst im Dienst der Seidenunternehmen Abraham und später Hermes Paris in die freie Kunst übertragen. Hell und Dunkel, Licht und Glanz, das er einst auf den Laufstegen der Haute Couture spielen liess, hat in seiner Kunst an Glamour verloren und an Tiefe gewonnen. Die bildnerische Sinnlichkeit als Meditationsfläche ist ihm ein zentrales Anliegen.

In der grafischen Werkstatt des Zürcher Künstlers Klaus Däniker (1930 - 2009) erlernte Pierre Schwarzenbach die Techniken der bildenden Kunst von der Pike auf. Sein Mentor führte ihn in die ganze Breite der grafischen Techniken ein und ermunterte ihn zum Experimentieren mit neuen Werkstoffen. Deshalb ist ihm heute kein Malgrund und kein Malmittel fremd. Auf der Suche nach immer tieferen Oberflächen arbeitet Pierre Schwarzenbach unter anderem mit seltenen Pigmenten, Sand, Wachs, Graphit oder Lack. Selbst das bei einzelnen Bildern eingesetzte Blattgold weiss er auf dem Spachtelgrund so zu applizieren, dass es seine Strahlkraft ohne verführerische Süsse steigert. Und was für die Altmeistertechnik mit Ölmalerei selbstverständlich ist, gelingt ihm auch mit Acrylfarben. Sein Geheimnis liegt in den zahlreichen Farbschichtungen, die er pointillistisch und hauchdünn aufträgt, so dass die unteren Schichten das Licht reflektieren und Farbwirkungen höchster Subtilität erzeugt. Wie im Farbdruck bleiben in dieser Maltechnik Schwarz oder Weiss die Schlüsselfarben für die Kontrastbildung. Und seine Buntfarben leuchten umso stärker, als der Künstler sie ausgesprochen spärlich einsetzt und damit jede brutale Überstrahlung der Nichtfarben vermeidet.

Des Künstlers Wege zur postkonkreten Kunst führen bisweilen zu rein monochromen Bildern. Auch diese brechen mit der Tradition. Nicht die Gestik der Pinselführung zeichnet sie aus, sondern eine hochsensible, in geringem Masse modulierte Struktur, die auf den Betrachtenden eine geradezu haptische Anziehung ausübt. Der Philosoph Edmund Husserl sprach zum Thema der Phänomenolgie einmal vom Glanz der Seide und meinte, dass diese visuell zwar gegeben ist, die Glätte aber nicht gesehen werden kann, sondern nur getastet, «mitgesehen» oder «mitvergegenwärtigt» sein kann. Die taktile Empfindung bzw. die taktile Wahrnehmung spiele dabei eine vorzügliche Rolle, sofern sie alle Sinnesempfindungen begleite. Ganz anders bei den Zürcher Konkreten. Bei ihnen ist die serielle Abfolge der Werke im Sinne eines Systems charakteristisch. Als ehemaliger Textildesigner ist dem Künstler das System des Rapports ebenfalls vertraut. Aber er widersteht der Verlockung einer künstlerischen «Markenbildung» durch ein starres System. Jedes Bild ist für ihn ein neues Abenteuer. Dennoch beweist er mit seiner Ausstellung malerische Stringenz und Konsequenz - seine Handschrift bleibt in jedem Fall erkennbar.

Yves Schumacher, Zürich
26. März 2017